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“Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber Du kannst lernen sie zu reiten” - Achtsamkeit vs. Autopilot

Das Wort Achtsamkeit ist heutzutage in aller Munde. Achtsamkeit ist hip und doch oft als Konzept so wenig fassbar. 

Letztendlich geht es bei der Achtsamkeit um das Sich-Einlassen auf den Moment, dem stillen, nicht wertenden Gewahrsein. Oft merken wir gar nicht, dass wir unseren Alltag im Autopilot bewältigen. 

Die meisten von uns haben eine morgendliche Routine: Wir stehen auf, kochen Kaffee, putzen uns die Zähne, duschen, ziehen uns an, verlassen das Haus, steigen ins Auto oder in die Bahn, stellen die Musik an, lesen Zeitung oder beantworten schon die ersten Mails bis wir am Arbeitsplatz sind. Und selbst hier haben wir eine Routine entwickelt im Büro anzukommen und uns auf den Tag einzurichten.

Routinen und Autopiloten können in stressreichen Situationen sehr hilfreich sein und uns das Leben erleichtern, da sie uns Zeit und Energie sparen. Dennoch stehen sie im Umkehrschluss einem Im-Moment-bewussten Umgang mit unserer Umwelt und uns selbst entgegen. Autopiloten verhalten sich in ihrer Anwendung nicht selektiv, so dass wir auch in hinderlichen Situationen schnell zu gewohnten Mustern greifen: Zum Beispiel sagen wir dann im Streit Dinge, die wir später bereuen; essen, was uns nicht guttut; schauen Fernsehen, wenn wir Zeit mit dem Partner oder Freunden verbringen könnten; gehen sofort ans Handy, wenn es klingelt; beschäftigen uns mit Dingen, die uns keine Freude bereiten; reagieren auf neuen Ideen mit Skepsis und fühlen uns davon bedroht; greifen zur Zigarette, Kaffee oder Alkohol wenn wir gestresst sind. Was uns in solchen automatisierten Handlungen vor Allem abhanden kommt, ist Lebensqualität.

In der Achtsamkeitspraxis üben und lernen wir unaufhörlich, in unserem Alltag präsenter zu sein und aufmerksamer mit unseren Gedanken, Gefühlen und unserem Körper umzugehen. Alles was es dafür braucht ist eine (ironischer Weise) Routine des Innehaltens - des Atmens - und des Wahrnehmens. 

Auf diese Weise können wir ein tiefes Bewusstsein über uns selbst entwickeln, das uns hilft einen sehr viel bewussteren Umgang mit uns selbst und unserer Umwelt zu pflegen. 

Im übertragenen Sinne bedeutet dies, dass wir uns von alltäglichen Herausforderungen wie Termindruck, Verkehrschaos, unaufmerksamen Mitmenschen oder Kopfschmerzen nicht so leicht beeinflussen lassen. Wir lernen, die Dinge aktiv wahrzunehmen und so sein zu lassen wie sie sind, ohne dass sie unsere Entscheidungen und Reaktionen bestimmen. Zudem erkennen wir immer wiederkehrende Denkmuster, Emotionen und Einstellungen, die wir zu bestimmten Situationen und Personen haben. 

Was uns dabei hilft Achtsamkeit alltäglich zu üben ist die regelmäßige Frage an uns selbst: 

Wie anwesend bin ich im jetzigen Moment?

Achtsamkeit ist nicht Entspannung und pure Freude. Obwohl eine Achtsamkeitspraxis entspannend wirken und uns zu mehr Freude im Leben verhelfen kann, bedeutet Achtsamkeit das ruhige Beobachten des gegenwärtigen Moments, der damit verbundenen Gefühle und Impulse. Wenn es uns gelingt das JETZT von Moment zu Moment ganz ohne Wertung wahrzunehmen, uns nicht mit dem Erlebten zu identifizieren, es ändern zu wollen oder wegzuwünschen, sondern es einfach nur zu beobachten, sind wir achtsam. Anstatt also entspannt zu sein, sind wir ganz im Gegenteil, sehr aufmerksam und fokussiert - und zwar auf das Loslassen von Automatismen, wie typische Bewertungen, Gedanken und Emotionen.

Ein gutes Beispiel für den achtsamen Umgang mit Emotionen und Empfindungen ist Schmerz. Eine natürliche Reaktion auf das Empfinden von Schmerz oder schmerzhaften Gedanken ist die Suche nach dem Ausweg. Im achtsamen Umgang mit unseren Empfindungen widerstehen wir der Versuchung uns dem Schmerz zu entziehen, sondern nehmen ihn einfach nur wahr und beobachten ihn, ohne uns emotional mit ihm zu verbinden. 

Zu guter Letzt hilft vielleicht folgendes Bild das Konzept der Achtsamkeit ein bisschen besser zu verstehen:

Vergleichen wir den Geist mit der Oberfläche des Meeres. Auf dieser Oberfläche gibt es manchmal größere und manchmal auch kleinere Wellen. Oft wird das Ziel der Meditationspraxis so verstanden, dass wir versuchen, die Oberfläche des zu glätten so dass sie friedlich und ruhig wird. Diese Vorstellung ist insofern irreführend als dass es in der Meditation viel mehr darum geht, die Wellen in Ihrer Größe und Unruhe sein zu lassen, ohne sie zu bewerten. Ganz nach dem Motto: “Du kannst die Wellen nicht stoppen, aber Du kannst lernen, sie zu reiten”.

Es gibt zahlreiche Achtsamkeitsübungen die wir ganz unkompliziert und von anderen unbemerkt in unseren Alltag integrieren können, wie zum Beispiel die Folgende:

Deinen Atem spüren

Die Atmung ist ein automatischer Vorgang dessen es keinerlei Kontrolle bedarf. Gerade deshalb eignet er sich so gut dafür Achtsamkeit zu üben:

  • Setz Dich aufrecht hin, entweder im Schneidersitz, auf den Hacken sitzend oder auf einem Stuhl ohne Rückenlehne. Solltest Du Dich im aufrechten Sitz nicht entspannen können, darfst Du Dich anlehnen. Versuche dennoch so aufrecht wie möglich zu sitzen. 
  • Der Kopf ist aufgerichtet, Nacken und Schultern entspannt. 
  • Schliess die Augen und leg eine Hand auf den Bauch. Atme tief in den Bauch hinein, so dass sich die Bauchdecke mit der Einatmung hebt und mit der Ausatmung wieder senkt. 
  • Richte Deine Aufmerksamkeit auf diese Atem-Bewegungen
  • Um Dir den Fokus auf eine ruhige Atmung zu erleichtern, kannst Du bei der Einatmung bis 4  und bei der Ausatmung bis 6 zählen.
  • Konzentriere Dich für - vorerst 2 Minuten - auf Deinen Atem
  • Versuche die Zeit dann zu steigern.

Author: Lotta-Lilia Amalie Major

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